Sonntag, 6. Oktober 2013

Einsamkeit.


Wähne nicht, daß in dem Weltgewühle,
Je ein Herz so wie das Deine fühle,
Daß ein andres folge Deiner Spur.
Wähne nicht, in sehnendem Umschlingen,
Andrer Herzen also durchzudringen,
Daß sie mit dem Deinen eines nur.

Einsam bist du, ob die bunte Menge,
Lobend oder tadelnd Dich umdränge,
Einsam in dem Kampf wie in der Ruh.
Einsam, bei der Freunde Scheinerbarmen,
Einsam selbst in Deines Liebsten Armen,
Denn sie alle sind nur sie, nicht Du.

Lerne drum, aus ihrem Kreis verschwinden,
Dich in Deiner eigenen Brust zurechtzufinden,
Lerne Du, Dein eigener Freund zu sein!
Alle Schwüre, die sie Dir versprechen,
Unwillkürlich werden sie sie brechen.
Deines Lebens Losung heißt: Allein!


Betty Paoli (1814 - 1894)


Einsamkeit, ernsthafte Frau,
Tratest einst still in mein Zimmer,
Ach, und ich wollte dich nimmer,
Grüßte dich finster und rauh.

Nicktest nur milde dazu,
Ließest dich doch nicht verjagen,
Mußte dich eben ertragen,
Sangest mich heimlich zur Ruh.

Sieh, und nun weiß ich genau:
Wolltest du heut von mir scheiden,
Würde ich tief darunter leiden,
Einsamkeit, ernsthafte Frau.


Anna Ritter (1865 - 1921), deutsche Dichterin und Novellistin


Ich will alleine über die Berge gehn,
und keiner soll von meinen Wegen wissen;
denn wer den Pfad zu meinen Höhn gesehn,
hat mich von meinen Höhn herabgerissen.

Ich will alleine über die Berge gehn,
mein Lied soll ungehört am Fels verklingen,
und meine Klage soll im Wind verwehn; –
nur wer dem eignen Herzen singt, kann singen; –

nur wer dem eigenen Herzen klagt, kann klagen;
nur wer das eigne Herz erkennt, kann sehn. –
Hinauf zu mir! Ich will der Welt entsagen,
und will alleine über die Berge gehn.


Erich Mühsam (1878 - 1934), deutscher Schriftsteller



Wie zerrss'ner Saiten Klingen
Tönt mein Lachen mir in's Ohr,
Und die heißen Thränen dringen
Bitterlich zum Aug' empor.

Ob ich lache oder weine,
Ach, es ist ja Alles eins:
Leid und Lust trag ich alleine,
Meine Thränen kümmern keins.

Anna Ritter (1865 - 1921), deutsche Dichterin und Novellistin


Es ist noch Tag auf der Terrasse.
Da fühle ich ein neues Freuen:
Wenn ich jetzt in den Abend fasse,
Ich könnte Gold in jede Gasse
Aus meiner Stille niederstreuen.

Ich bin jetzt vor der Welt so weit,
Mit ihrem späten Glanz verbräme
Ich meine ernste Einsamkeit.

Mir ist, als ob mir irgendwer
Jetzt leise meinen Namen nähme,
So zärtlich, daß ich mich nicht schäme
Und weiß, ich brauche keinen mehr.

Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)


Könnt' ich nur ein einzig Mal
mich in einen andern gießen,
Aus der Seele meiner Wahl
Neu die alte Welt genießen.

Doch ich sitz' in Kerkerhaft,
Kann die Riegel nimmer heben
Und muß mit gebundner Kraft
Einsam mein Gespinst verweben.

Fremd wie ich, wie ich allein
Glühen alle Lebensfunken.
Wird ein Finden möglich sein,
Wenn wir in das All versunken?


Jakob Boßhart (1862 - 1924), Dr. phil., Schweizer Schriftsteller



He Einsamkeit, ich hasse Dich,
Du Quälgeist meines Lebens,
ich sag Dir, Du bist fürchterlich,
doch das ist wohl vergebens.

He Einsamkeit, ich hasse Dich,
wie man nur hassen kann,
Du machst mich ohne Unterlass
zu einem Hampelmann.

He Einsamkeit, ich hasse Dich,
Du gönnst mir keine Freuden,
mit Dir will ich nicht jahrelang,
mein Leben nur vergeuden.

He Einsamkeit, ich hasse Dich,
Du forderst viel zu viel,
lass mich gefälligst mal in Ruh,
spiel andernorts Dein Spiel.

He Einsamkeit, ich hasse Dich,
was willst Du noch von mir,
hast den Frohsinn mir genommen,
ich gehör doch längst schon Dir.

Horst Rehmann (*1943), deutscher Publizist, Maler, Schriftsteller und Kinderbuchautor



Wenn du verlassen bist –
Das was dich grausen macht;
Deine Verlassenheit
Wird zum Gespenst.

Daß so nichts neben dir geht:
Geht auf unhörbarm Fuß
Immer und ungetrennt
Neben dir her.

Wo du auch gehst, ist nichts –
Daß deine Hand so greift:
Geht ganz undeutbar leis
Neben dir her.

Oh, du erbebst und lebst
Doppelt und zahllos die Angst:
Nichts, nichts, und immer nichts geht
Neben dir her.

Wie du auch horchst, dein Ohr
Hört keinen Laut,
Der aber lispelt so grell:
– Hier bin ich nicht. –

Hier ist nichts, hier, und hier,
Ohne Gefährt
Mußt du den langen Weg
Gehn, gehn und gehn.

Mußt du verlassen gehn.
Tausend Gespenster
Fliehn vor dem Wehn, das leicht
Neben dir streicht.

Deine Verlassenheit
Streicht als ein weites Kleid
Mit seinem äußersten Saum
Über den Mond.

Deine Verlassenheit
[Tages- und Nachgespenst]
Geht durch die Sterne noch
Neben dir her.

Otto zur Linde (1873 - 1938), deutscher Schriftsteller


Was ist wahre Einsamkeit?
Sind wir einsam, wenn das Leben
Rings von Stille ist umgeben?
Wenn die rege Phantasie
Uns in schaffender Magie
Neu beseelt mit süßem Streben
Bilder der Vergangenheit? –
Ist das wahre Einsamkeit?

Nein, nur das ist Einsamkeit,
Wenn sich Wesen um uns drängen,
Denen nicht in zarten Klängen
Sich vernehmbar macht das Herz,
Oft voll Wonne, oft voll Schmerz –
Die uns das Gemüth verengen
Durch der Langeweile Leid –
Das ist wahre Einsamkeit!

Charlotte von Ahlefeld (1781 - 1849), deutsche Schriftstellerin und Lyrikerin



Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,
Sie hat so lange nichts von mir vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!

Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält,
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.

Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh' in einem stillen Gebiet!
Ich leb' allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied!

Friedrich Rückert (1788 - 1866), alias Freimund Raimar, deutscher Dichter


Wem in's Herze schmeicheln
wem in's Auge seh'n
wem die Seele streicheln
wessen Not versteh'n

wem die Hände reichen
wessen Glück geteilt
womit sich vergleichen
wer allein verweilt

in der liebesentleerten
in der argen Zeit
in der grundverkehrten

...in der Einsamkeit...

Thomas S. Lutter (*1962), Lyriker und Musiker


Flood: Years of Solitude

By Dionisio D. Martínez
To the one who sets a second place at the table anyway.  

To the one at the back of the empty bus.

To the ones who name each piece of stained glass projected on a white wall.

To anyone convinced that a monologue is a conversation with the past.

To the one who loses with the deck he marked.  

To those who are destined to inherit the meek.  

To us.

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